Dieses Bilderbuch verbindet das tragische Schicksal gesellschaftlicher Randgruppen mit dem faszinierenden Naturphänomen der amerikanischen Singzikade.
Gerade in der monströsen Verfremdung wird das realistische Potenzial der Geschichte herausgearbeitet und in Szenen gesetzt. Die Entwürdigung der Machtlosen nimmt eindrücklich Gestalt an. Dort bleibt Shaun Tan mit seinem Bilderbuch aber nicht stehen. Auf der anderen Seite ist es nämlich eine Hommage an die Insektengattung Magicicada aus der Familie der Singzikaden, die im Norden Amerikas lebt. Diese faszinierenden Tiere leben siebzehn Jahre unter der Erde, um plötzlich und in Massen als verwandelte Flügelwesen zu erscheinen. Dieses lange Leben im Dunkeln und die Vorbereitung auf eine plötzliche Verwandlung macht Shaun Tan zum Hoffnungsschimmer für seinen Protagonisten.
Es ist eine bittere Hoffnung, die gerade wegen ihrer grotesken Einzigartigkeit ebenso wunderbar wie unrealistisch ist. Und damit betont er das eigentliche Drama, das Menschen wie Zikade tagtäglich mitten in den vermeintlich zivilisierten Gesellschaften des Westens erleben. Betont wird diese Anklage auch durch die elliptisch verkürzten Sprechakte und die malerischen Ölbilder im typischen Stil des Künstlers. Das surrealistische Sujet der bürokratisierten Zikade im grauen Anzug wird in eine monumentalistisch überzeichnete Hochhausszene mit gleichsam naturalistischen Bildern eingebettet, die zumeist die Welt auf Augenhöhe der kleinen Zikade zeigen. So entwickelt das Bilderbuch eine zusätzliche Eindringlichkeit, die sich sicherlich auch an erwachsene Lesende richtet.