Unerschrocken

Dieses Buch erhielt den LesePeter Juni 2019. Die Veröffentlichung der Begründung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien.

Denkt man an die großen Namen unserer Geschichtsschreibung, fallen wohl zuerst männliche Revolutionäre, Querdenker und Ikonen auf. Die Autorin berichtet in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass sie als kleines Mädchen auch nur männliche Vorbilder präsentiert bekam. Hierzu setzt sie nun einen Kontrapunkt. Denn natürlich gibt es unzählige mutige, entschlossene und legendäre Frauen, die (nicht nur) für Mädchen als Vorbilder dienen können. Pénélope Bagieu stellt in diesem Graphic-Novel-Band fünfzehn von ihnen vor.

Sie thematisiert dabei Frauen aus völlig unterschiedlichen Kulturkreisen und Epochen, wie die antike Gynäkologin Agnodike, die libanesische Bürgerrechtlerin und Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee, die Ethnografin Delia Akeley, die Sportikone und Erfinderin des Badeanzugs Annette Kellermann oder die Königin Nzinga von Ndongo und Matamba, die mit 16 Jahren zwei Königreiche erfolgreich gegen portugiesische Invasoren verteidigte. Diese Frauen werden den meisten Leserinnen und Lesern unbekannt sein. Was sie geleistet haben, wird in informativen und kurzweiligen Episoden vorgestellt. Auch zur in unserem Kulturkreis wohl berühmtesten Protagonistin des Bands, Josephine Baker, werden weniger bekannte Anekdoten erzählt, wie zum Beispiel ihre Tätigkeit als Spionin für die Résistance.

Es sind jedoch nicht nur die Inhalte, sondern vor allem die Darstellungs- und Erzählweisen, die diesen Band so besonders machen. Es gelingt der Autorin Bilder und Texte tatsächlich zusammenspielen zu lassen. Ihre Freude am Detail, das mit jeder Zeichnung eine unverbrauchte Facette der Geschehnisse zu entlocken vermag, ist geradezu spürbar. Besonders eindrucksvoll sind die Doppelseiten am Ende jeder Geschichte, die man in der Comicforschung “Double Splashes” nennt. Sie kommen ganz ohne Text aus. Mit ihren starken Kontrasten zwischen und innerhalb der Bilder ziehen sie unweigerlich in ihren Bann. Die kleinen Kunstwerke resümieren, verstärken, oder konterkarieren die Anekdoten der ihnen vorangehenden Seiten. So wird beispielsweise die chinesische Kaiserin Wu Zeitan, welche im 7. Jahrhundert lebte, entgegen der üblichen Geschichtsschreibung als progressive Taktiererin präsentiert, die sich um die Künste, den Frieden und soziale Fortschritte kümmerte. Auf der letzten Doppelseite des Bandes steht sie auf einer Brücke und wirft die Köpfe zweier Widersacherinnen ins Wasser.

Es handelt sich bei den Darstellungen der Lebensgeschichten nicht um historisch exakte Berichte, sondern, wie der Titel nahelegt, um dezidiert literarische Porträts. Pénélope Bagieu kürzt ab, gewichtet, interpretiert und wertet - ganz zum Zwecke der Wirkung und der literarischen Qualität. Das gelingt ihr ohne moralisierenden Zeigefinger. Stattdessen durchzieht den Band eine spielerische, ironisch-ambivalente Leichtigkeit, die weder Freud noch Leid bagatellisiert. Es ist ein ehrliches, und deshalb lehrreiches Buch, das in einem Nachfolgeband fortgesetzt wurde. Dieser porträtiert fünfzehn weitere, diesmal zeitgenössische Persönlichkeiten.