Turing

Dieses Buch erhielt den LesePeter Oktober 2017. Die Veröffentlichung der Begründung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien.

Robert Deutsch erzählt in seiner Graphic Novel die spannende Lebensgeschichte von Alan Turing zwischen Verachtung aufgrund seiner lange Zeit geheimen Homosexualität und seinem königlichem Ritterschlag. Eine Biografie auf eine etwas andere Art. Sie beginnt mit seinem Selbstmord am 7. Juni 1954 in Wilshore und zeigt wichtige Lebensabschnitte Turings. Schon auf den ersten Seiten greift Robert Deutsch dabei die Homosexualität Alan Turings auf und erzählt in der tragischen Bekanntschaft mit „Arnold“ in Rückblenden und mit Zeitsprüngen sein Leben nach. Von der Kindheit des britischen Beamtensohns in Indien und seiner Jugend in England zeigt der Autor, dass Turing schon in seiner Jugend ein großes Interesse an den Naturwissenschaften hatte. Sehr detailreich erfährt man dabei seine wissenschaftlichen Hinterlassenschaften: die theoretischen Forschungen zur künstlichen Intelligenz von Maschinen und der Turing-Test zur Feststellung dieser. Der zweite wichtige berufliche Abschnitt in Turings Leben, seine Rolle als Codeknacker während des Zweiten Weltkrieges, wird später im Buch ausführlich nachgezeichnet. Lange Zeit war dieser Beitrag innerhalb des britischen Geheimdienstes ein unter Verschluss gehaltenes Geheimnis. Die Historiker gehen heute davon aus, dass die Dechiffrierungen der deutschen Einsatzbefehle durch Turing und seine Mitstreiter während des Krieges dieser um fast zwei Jahre verkürzt werden konnte.

In parallelen Erzählsträngen blickt Robert Deutsch auf Turing als Mensch. Als homosexueller Mann der Fünfziger ist er auf der Suche nach der großen Liebe. Homosexualität ist zu dieser Zeit nicht nur in England eine Straftat und findet damit im Verborgenen statt. Auch Turing ist immer in Gefahr entdeckt zu werden und im Gefängnis zu landen. Als sein Liebhaber, Arnold, Turing bestiehlt und einen Einbruch bei ihm organisiert, gerät Alan ins Visier von polizeilichen Ermittlungen. Statt den Einbruch aufzuklären, ermitteln sie gegen ihn und so kommt es zur Verurteilung wegen „sexueller Perversion“. Statt des Ganges ins Gefängnis entscheidet sich Alan Turing für den damals üblichen Heilungsansatz mit weiblichen Hormonen; Homosexualität wird als Krankheit angesehen, die geheilt werden kann. Statt Heilung leidet er unter den Nebenwirkungen der Medikamente: Fettleibigkeit, Depressionen und das Wachsen von Brüsten sind nur einige davon. Schwer gezeichnet unter diesen körperlichen Veränderungen und nicht mehr fähig, zu arbeiten, nimmt sich Alan Turing mit einem vergifteten Apfel das Leben.

Robert Deutschs Graphic Novel kommt mit wenigen Sätzen und Sprechblasen aus. Sein Haupterzählwerkzeug sind die Bilder. Auf großen Doppelseiten hat man ein Storyboard ähnliches Buch vor sich das klar gegliedert ist. Nur an ganz wenigen Stellen verlässt er seine 6 Bilder pro Seite und baut große doppelseitige Totalen ein. Diese Struktur macht es einem leicht, der Geschichte zu folgen. Die Einstellungen in den einzelnen Bildern sind dabei wie im klassischen Erzählkino gewählt und lassen den Zuschauer als stummen Beobachter an der Geschichte teilnehmen. Das graue England der Fünfziger erhält vom Grafikdesigner Deutsch matte Farbtöne. Es dominieren die Erdfarben braun, grün und blau. An vier Stellen im Buch wird dies aufgelöst: Die Sexszenen erhalten einen anrüchigen roten Farbton, der Einbruch wird Linolschnitt artig in Schwarz und Weiß nachgezeichnet, die Entschlüsselung der deutschen Geheimcodes unterlegt er mit einem sanften Senfgelb und die Therapiesequenz erhält dafür einen kräftigen gelb-schwarz Kontrast. In unterschiedlichen Szenen nuanciert Robert Deutsch dabei seinen Zeichenstil, von äußert nüchtern bis zur starken Überzeichnung des Inhalts. Deutsch verwendet dazu die Figuren aus Walt Disneys “Schneewittchen und die sieben Zwerge”. An vielen Stellen im Buch erscheint Schneewittchen, z. B. als Hinweis für den Tod, gleich auf den ersten Seiten. Am Ende des Buches auch als Symbol für die Suche nach der großen Liebe, in Turings letztem Gang vor seinem Tod, bei dem er seiner großen Liebe Christopher aus Jugendtagen nachtrauert. Auch die Zwerge, aus dem Märchen, begleiten Turing häufig und tauchen immer als Beschützer in der sicheren Arbeitswelt und seinem Haus auf. Auch die böse Hexe, im Märchen die Stiefmutter, erhält ihren todbringenden Auftritt, im Spiegelbild Turings während seiner vergeblichen Therapie.

Um Turings wissenschaftliche Wichtigkeit zu verdeutlichen, erfährt man im Nachwort, dass neben Turing noch 49.000 weitere Homosexuelle bis zur Abschaffung des “Criminal Law Amendment Act” im Jahre 1967 verurteilt wurden und dass von diesen bisher nur einer posthum rehabilitiert wurde: Alan Turing.

Deutschs Graphic Novel ist ein herausragend berauschendes Bilderwerk über eine tragische Heldengeschichte ohne das Happy End eines Märchens. Er zeichnet dabei die wichtigsten Lebensabschnitte Turings nach, wobei er es sich nicht nehmen lässt, diese um künstlerische Elemente zu erweitern, um ein spannendes und in sich stimmiges Gesamtwerk zu schaffen.