Sem und Mo im Land der Lindwürmer

Dieses Buch erhielt den LesePeter Januar 2023. Die Veröffentlichung der Begründung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien.

Die Brüder Sem und Mo leben als Pflegekinder bei ihrer Tante. Sie holte die Jungen zu sich, nachdem diese bereits einige Jahre ihres Lebens in einem Waisenhaus verbrachten. Die anfängliche Hoffnung auf ein geborgenes Familienleben bleibt unerfüllt. Kinderarbeit, fehlende Zuneigung sowie körperliche und seelische Gewalt prägen den Alltag der beiden Jungen. Sem, der Ältere der beiden Kinder, fühlt eine tiefe Verbundenheit und Liebe für seinen achtjährigen Bruder Mo. Er ist froh darum, wenn die Tante ihn und nicht Mo verprügelt.

Eine Situation, in der Sem den jüngeren Bruder nicht vor ihr beschützen kann, wird zum Schlüsselereignis. Die Kinder laufen davon, direkt in die Arme einer sprechenden Ratte, die ihnen ein paradiesisches Leben verspricht. Geblendet von der Aussicht auf eine unbeschwerte Kindheit ohne Armut und Hunger folgen sie der Ratte durch einen unterirdischen Gang in das Land der Lindwürmer, eine Parallelwelt. Dort lebt Königin Indra in einem alten, verlassenen Schloss, umgeben von ihren Bediensteten, die sich als verzauberte Waldtiere entpuppen. Die Freude über die Ankunft der beiden Kinder ist groß, denn Indra wünscht sich sehnlichst ein Kind.

So werden die Jungen umsorgt und verwöhnt, besonders Mo hat es der Lindwurmkönigin angetan. Fühlt sich Sem zunächst lediglich zurückgesetzt und zunehmend eifersüchtig, so mehren sich alsbald die Hinweise darauf, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Als Sem erkennt, dass Mo in ernsthafter Gefahr ist, ist es bereits zu spät. Indras Falle istzugeschnappt und sie hat Mo in ihrer Gewalt. Ein Kampf um Leben und Tod, zwischen Gut und Böse steht bevor.

“Sem und Mo im Land der Lindwürmer” ist ein Fantasyroman für Kinder ab zehn Jahren. Obwohl sich Frida Nilsson bekannter Themen und Motive aus dem Fantasy-Genre und der Welt der Märchen und Mythen bedient, hebt sich diese Erzählung im positiven Sinne von der Masse ab. Die Lesenden treffen mit Mo und Sem auf zwei sympathische Identifikationsfiguren, von denen vor allem Sem im Verlauf der Geschichte eine überzeugende Entwicklung nimmt. Bis zuletzt setzen ihm starke Selbstzweifel zu und er hadert mit falschen Entscheidungen. Es gelingt ihm, diese mit späteren Taten zu korrigieren und sein Leben in die Hand zu nehmen.

Da er als Ich-Erzähler auftritt, können wir nicht nur an Gesprächen zwischen ihm und anderen Figuren, sondern auch an seinen Gedanken und Gefühlen intensiv teilnehmen. Diese sind für einen heranwachsenden 11-Jährigen ausgesprochen tiefgründig, oft philosophisch und wirken dabei weder gekünstelt noch kitschig oder gar abgehoben.

In der Auseinandersetzung mit sich und anderen, allen voran seiner Widersacherin Indra, beschäftigt sich Sem mit grundlegenden Fragen des Daseins und der Menschheit. Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Inwieweit ist unser Handeln von Prägungen und der Natur in Form von Trieben vorbestimmt? Ist es damit gut oder böse?

Frida Nilsson versteht es meisterhaft, nicht nur Sem, sondern auch Indra und weitere Figuren komplex, mit ihren Widersprüchen darzustellen. Sie lassen sich somit nicht eindeutig in das Gut-Böse-Schema einordnen. Mit erzählerischem Geschick gelingt es der Autorin, die lesenden Kinder bei solch gewichtigen Themen mitzunehmen. Bei aller Dramatik, bisweilen auch Grausamkeit, wird die Erzählung von einem hoffnungsvollen Grundton getragen. “Weil es wohl schon immer diese eine Kraft in uns Menschen gegeben hat: den Wunsch, Gutes zu tun.”