Opa und die Nacht der Wölfe

Dieses Buch erhielt den LesePeter Januar 2020. Die Veröffentlichung der Begründung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien.

Ollis Opa entspricht so gar nicht den gängigen Vorstellungen, wie ein Opa sein sollte. Dabei ist sein Gebiss, das er regelmäßig vergisst, das geringste Übel. Wenn Opa gerade nicht gedankenverloren vor sich hinstarrt oder widerspenstig die alltäglichen Abläufe wie ein bockiges, kleines Kind verweigert, tut er so unglaubliche Dinge wie Fliegen oder Eis mit Ketchup essen. Oder er pullert mitten im Park in seine Hose. Für den 9-jährigen Olli ist sein Opa einfach nur peinlich und er ist wütend und schämt sich, wenn er mal wieder dazu verdonnert wurde, mit ihm nach draußen zu gehen und dabei auf Opa aufzupassen.

In einer Vollmondnacht erfolgt die überraschende Wende. Der demenzkranke, senile Alte verwandelt sich in einen Wolf und steht in ungewohnter Stärke vor seinem Enkel. Nun ist es Olli, der zu langsam ist und dem die notwendige Kraft fehlt, bei ihrem nächtlichen Abenteuer mitzuhalten. All die Unzulänglichkeiten, die er des Tags seinem Opa zuschreibt, treffen nun auf Olli zu und er erfährt, wie wohltuend Unterstützung und Verständnis sind. Klassisch zeigt sich das Grundmuster einer phantastischen Erzählung in Form der offenen sekundären Welt, bei der die reale und die phantastische Welt nebeneinander existieren und der Übergang zwischen beiden durch den Vollmond bei Nacht möglich wird.

Aufgrund der Erlebnisse in der phantastischen Welt kehrt Olli erfahrungsreich zurück und kann die Schwierigkeiten mit seinem dementen Opa anschließend anders einordnen und bewerten. Zusätzliche Spannung wird durch die Verflechtung der phantastischen Erzählung mit Aspekten einer Detektivgeschichte erzeugt. Die personale Erzählperspektive ermöglicht Einblicke in Ollis ambivalente Gefühlswelt, die dezent aber sehr gelungen herausgearbeitet wurde. Hierin liegt die Stärke des Buches. Kinder, die ähnliches erleben, finden sich darin einerseits wieder, andererseits bleibt ausreichend Raum für davon abweichende, persönliche Empfindungen.

In den letzten Jahren wurden einige sehr gute Kinderbücher zum Thema Demenz veröffentlicht, darunter folgende: “Baby Oma”, erschienen 2017 bei Klett Kinderbuch; “Omas Rumpelkammer”, erschienen 2017 im Susanna Rieder Verlag; “Romys Salon”, erschienen 2018 im Gerstenberg Verlag. In allen drei Büchern ist die Oma-Enkelin-Beziehung zentral, was sich vermutlich darauf zurückführen lässt, dass emotionale Bereiche noch immer weiblich konnotiert sind. Im Bilder- und Jugendbuch mag das Angebot ausgewogener sein, aber unter den Kinderbüchern bildet “Opa und die Nacht der Wölfe” mit einem dementen Opa und seinem Enkel bezüglich der Geschlechterwahl fast schon eine rühmenswerte Ausnahme.