Mission Kolomoro oder: Opa in der Plastiktüte

Dieses Buch erhielt den LesePeter Januar 2022. Die Veröffentlichung der Begründung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien.

Berlin, zu Beginn der Herbstferien: Es ist ein milder, sonniger, etwas windiger Tag und keiner der sechs Kinder (und deren Eltern) hätten das für möglich gehalten, was an diesem Tag folgen sollte. Gemeinsam stolpern die Kinder in ein Großstadtabenteuer und kehren mit Erfahrungen heim, die sie nicht vergessen werden.

Zufällig treffen sich Katja, Zeck, Fridi, Mustafa, Jennifer und Polina auf dem Parkplatz eines Supermarktes. Sie kennen sich teils nur flüchtig aus der Schule. Zeck und Fridi, der eigentlich Fridolin heißt, gehen in dieselbe Klasse. Während sich Katja, Zeck und Fridi mit der banalen Frage beschäftigen, wie die drei Euro fünfzig von Zeck am besten angelegt sind, ob in Chips und Cola, Center Shocks und Brause oder einer Zehnerpackung Schokoküsse, steckt Mustafa in einem Dilemma.

Er hat versehentlich den Kanarienvogel der Familie zerquetscht und noch keine Lösung dafür, wie er das seiner Mutter erklären kann. Das tote Tier trägt er bei sich. Jennifer setzt noch eins oben drauf, sie kommt mit Rehpinscher Püppi und einer Plastiktüte in der Hand daher, worin sich die Asche ihres verstorbenen Opas befindet. Jennifer hatte ihrem Opa zu Lebzeiten versprochen, seine Überreste in dessen Schrebergarten in “Kolomoro” zu verstreuen.

Die Gruppe ist sich einig, gemeinsam wollen sie Opas letzten Willen erfüllen, die “Mission Kolomoro” ist geboren. Dabei ist der Weg das Ziel, denn wo letzteres (also Kolomoro) genau liegt, weiß Jennifer nicht. Mit wenig Geld und ausgeschalteten Handys beginnt die abenteuerliche Reise der Kinder quer durch Berlin.

Ungewöhnliches Figurenensemble

Julia Blesken hat für ihr Kinderbuch ein ungewöhnliches Figurenensemble entworfen, deren Zusammenstellung ebenso schräg wie die Handlung ist und dennoch widerspruchsfrei funktioniert. Die Kinder repräsentieren unterschiedliche soziale Verhältnisse und damit einhergehende Lebensrealitäten, doch die gemeinsame Mission vereint sie.

Ohne große Töne und mit einer angenehmen Selbstverständlichkeit zeigt sich an vielen Stellen gelebte Diversität. Katja wächst bei zwei Vätern auf, die als homosexuelles Paar normale Konflikte im Alltag mit ihrer Tochter haben. Und während sich Mustafa kopflos in ihm unbekannte Situationen stürzt, ist Fridi ein richtiger Angsthase.

Für Polina, die ihren Öko-Lifestyle mit vegetarischem Bioessen und ohne finanzielle Sorgen gewöhnt ist, dürfte so manche Begegnung die größte Herausforderung sein, denn die Kinder werden mit echter Armut konfrontiert. Darüber lernen auch die Lesenden Berlin von einer anderen Seite kennen.

Mit viel Feingespür und Sensibilität ist es der Autorin dabei gelungen, Personen und Situationen am Rande der Gesellschaft authentisch und wertschätzend darzustellen. Durch witzige Dialoge und ausreichend Situationskomik wird der Ernst entschärft und niemand überfordert. Ebenso unbeschwert und gelungen erfolgt die Begegnung mit dem Tabuthema Tod.

Die Erzählung ist dynamisch und unterhaltsam, gleichzeitig ernsthaft und klug. Der Autorin gebührt großer Respekt für diesen außergewöhnlichen Kinderroman.

Hörbuchfassung

Das Buch ist unter dem gleichnamigen Titel bei Oetinger Audio als Hörbuch erschienen (gekürzte Lesung). Der Sprecher Stefan Kaminski versteht es meisterhaft, den Berliner Slang zu imitieren. Mit adäquater Betonung und variierender Lautstärke hebt er die Dynamik der Handlung stimmlich hervor.