Henny & Ponger

Dieses Buch erhielt den LesePeter Februar 2023. Die Veröffentlichung der Begründung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien.

Ponger, der ca. 16-jährige Protagonist in Mohls neuem Roman, lebt bei der älteren Dame Pörl, die ihn gefunden und aufgenommen hat. Was Ponger nicht hat, ist eine Erinnerung an seine Vergangenheit und Herkunft. Entsprechend hat er keine Papiere, denn er scheint vom Himmel gefallen zu sein. Da Ponger die Fähigkeit besitzt, spontan auch komplexe technische Geräte zu durchschauen und reparieren zu können, arbeitet er in Susis Werkstatt, in welcher insbesondere ausrangierte Flipper-Automaten in Stand gesetzt werden. Am liebsten aber wäre Ponger so, wie andere Jugendliche in seinem Alter. Und darum denkt er sich eine Freundin – Henny – aus, von der er Pörl erzählen kann. Bei der imaginierten Liebesgeschichte orientiert sich Ponger an Liebesgeschichten, die er u. a. aus Adoleszenzromanen von Nils Mohl, John Green oder Wolfgang Herrendorf kennt.

Einen interessanten Dreh nimmt das Buch, als plötzlich ein Mädchen in Pongers Leben stürzt und seine Hilfe braucht. Das Mädchen, das gegenüber Pörl kurzzeitig die Rolle der imaginierten Henny spielt und darum im Roman auch Henny genannt wird, behauptet mit ihrem Raumgleiter auf der Erde notgelandet zu sein. Ponger soll ihr helfen, die defekte Steuereinheit zu reparieren. Und zu allem Überfluss wird Henny auch noch vom Staatsschutz verfolgt.

Nachdem Ponger zuerst versucht, Henny loszuwerden, nähern sie sich aber zunehmend an und Henny bringt Pongers reales und imaginiertes Leben durcheinander. Nicht zuletzt indem sie behauptet, dass auch Ponger ein Außerirdischer sei, der sich bloß nicht mehr an seine Herkunft erinnern könne, weil er bereits zu lange auf der Erde lebe. Ob das eine Erklärung dafür ist, warum Ponger sich nicht an seine Vergangenheit erinnern kann? Und sind vielleicht auch Pörl und andere Figuren aus Pongers Umfeld Außerirdische?

Zugegeben, das klingt nach einer verwirrenden und überdrehten Geschichte, in der zufällige Einfälle aneinandergereiht werden. Allerdings ist gerade das Erzählen von jenen unwahrscheinlichen, ungeplanten und zufälligen Gegebenheiten Gegenstand des Romans von Nils Mohl. Denn Mohl erzählt von den Erfahrungen der Kontingenz, die die Adoleszenz in (post)modernen Gesellschaften prägen. Die Suche nach der eigenen Identität – das ist der zentrale Erzähltopos von Adoleszenzromanen – wird von Mohl in ihrer Wechselwirkung mit angebotenen Mustern und Konventionen herausgestellt, indem die Figuren immer wieder literarische und popkulturelle Bezugnahmen thematisieren und in Frage stellen. Und dabei scheinen die von Mohl bekannten Kategorien Liebe-Glaube-Hoffnung auf, die er als Grammatik des Erwachsenwerdens bezeichnet hat: Wen, wie und was liebt man, woran kann man glauben und was will man hoffen?

Aber mehr noch: Nicht nur der Einfluss von Fiktionen auf die Suche nach Identität wird thematisiert, sondern zugleich die Funktion von Literatur überhaupt. Literatur wird im Roman als ein Erfahrungsraum erzählt, der einerseits Interpretationen für das anbietet, was uns täglich widerfährt. Andererseits kann Literatur Möglichkeiten durchspielen und neue Wege erproben. Und Mohl lässt all dies seine Figuren erfahren.

Die innovative Verbindung eines Erzählens über Adoleszenz mit phantastischen Elementen – insofern man Henny tatsächlich als Außerirdische liest – und selbstreferenziellen Reflexionen über Literatur ermöglicht es Mohl, Aspekte auf die Spitze zu treiben und dadurch wie im Vergrößerungsglas sichtbar zu machen: Das Nichtplanbare, das Zufällige, die bloße Korrelation sowie das Wechselspiel von Fiktion und Wirklichkeit, die es herausfordernd machen, einen festen Wesenskern in der Adoleszenz auszubilden.

Wie man es von Mohl gewohnt ist, geht er mit seinen Romanen keine ausgetretenen Pfade, sondern sucht neue Wege des Erzählens. Und so wie ihm, geht es auch seinen Figuren, die eigene Wege suchen müssen: Dazu gehört Mut. Darum kann es nicht verwundern, wenn Mohl Pörl die folgenden Sätze an Ponger richten lässt, die ihm Mut machen sollen: “Gib der Welt eine Chance. Und werde der, der du bist.”