Dunkelgrün wie das Meer

Dieses Buch erhielt den LesePeter September 2016. Die Veröffentlichung der Begründung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien.

Endlich Sommerferien! Wie jedes Jahr fährt die neunjährige Linn mit ihren Eltern an die holländische Ostsee in ein gemütliches, kleines “Schiffhaus”. Voller Vorfreude sieht sie dem gemeinsamen Urlaub und der erneuten Begegnung mit ihrer Urlaubsfreundin Smilla entgegen. Aber diesmal geht von Anfang an alles schief. Bereits bei der Abfahrt entflammt zwischen den Eltern ein ernster Streit, weil Papa den Urlaub für einen wichtigen Arbeitstermin unterbrechen muss. Obwohl Linn die Urlaubsfahrt lange herbeigesehnt hatte, fühlt sich die Rückbank im Auto nun “… an wie ein Fach im Kühlschrank.” Am Meer angekommen muss Linn nicht nur mit einer in Gedanken versunkenen, emotional aufgewühlten Mutter klar kommen, sondern stellt schmerzhaft fest, dass Smilla in diesem Jahr mit einem anderen Mädchen angereist ist und von Linn keine Notiz nimmt. Merkt denn niemand, wie traurig, einsam und hilflos sie sich fühlt?

In einem kurzen Zeitraum von wenigen Tagen durchlebt Linn eine emotional sehr anstrengende Zeit. Ihre Gedanken und Gefühle sind aus der Perspektive der Ich-Erzählerin kindlich-naiv aber keinesfalls trivial wiedergegeben. Die alltäglichen Probleme der Erwachsenen kann sie aufgrund ihres Alters noch nicht nachvollziehen und nimmt stattdessen die drückende Atmosphäre umso stärker wahr. Die wenigen Gesprächsfetzen, die sie von ihrer telefonierenden Mutter aufschnappt, während diese sichtlich nervös Kaffee trinkt, raucht und schluchzt, verunsichern Linn. Ihre bisher als heil empfundene Welt scheint aus den Fugen zu geraten. Linns inneres Ungleichgewicht spiegelt sich eindrucksvoll in dem Erleben der Natur wider, indem das Meer nun dunkel- und algengrün schimmert und bedrohlich braust. Linn hat Angst. Sie befürchtet, dass ihre Eltern sich trennen werden und nichts mehr so ist, wie es vorher war. Da kann auch ein eilig aufgesetztes Lächeln der Mutter nicht beruhigen.

Neben der Furcht vor einer Trennung der Eltern kommen für Mädchen typische Konflikte unter Gleichaltrigen zur Sprache. Die Freundin taucht unerwartet mit einem anderen Mädchen auf, tuschelt geheimniskrämerisch mit dieser und grenzt sich nach außen mit einem einheitlichen Kleidungsstil bis hin zur gleichen Nagellackfarbe ab. Linn verhält sich introvertiert und wenig handlungsfähig. Ihren Kummer behält sie für sich und als Leser fällt es schwer, die Tränen nicht an ihrer Stelle zu weinen. Damit ist dieses Buch keine Lektüre für einen unterhaltsamen Nachmittag. Mit 80 Seiten, die in 14 Kapitel unterteilt sind, hat es eine überschaubare Länge und kann gut alleine oder auch gemeinsam gelesen werden, um währenddessen mit dem Kind ins Gespräch zu kommen. Die Einsamkeitserfahrung dürfte vielen Kindern wohl vertraut sein. In Kombination mit der bildhaften, metaphorischen Sprache können sich Kinder sehr gut in Linns Situation hineinversetzen. Die textbegleitenden Illustrationen von Birgit Schössow sind in zarten Orange- und Grüntönen gehalten. Über warme und kalte Farbnuancen spiegeln sie ebenfalls die Stimmung des Mädchens wider. Die Symbiose aus Text und Bild ist damit hervorragend gelungen. Am Ende des Buches löst sich die melancholische Grundstimmung wohltuend auf. Manchmal müssen eben erst Blitz und Donner einschlagen, um die Blickrichtung auf das Wesentliche im Leben zu lenken: das eigene Kind, die Familie, die in der heutigen Zeit viel zu oft dem Arbeitsleben Vorrang gewähren muss.

Mit seinen etwas dickeren Seiten und einem gewellten, kräftigen Vorsatzpapier in schlichtem Orange wirkt das Buch insgesamt hochwertig und hebt sich von der Masse an Neuerscheinungen im Kinderbuchbereich positiv ab.