Bestimmt wird alles gut

Dieses Buch erhielt den LesePeter Mai 2016. Die Veröffentlichung der Begründung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien.

Krieg, Flucht und die zunehmende Anzahl an Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind schwere Themen, die in den Medien derzeit eine hohe Präsenz erfahren und kontroverse Diskussionen auslösen.

Die Bilder und Berichte darüber hinterlassen bereits bei Kindern in Grundschule und Kindergarten viele Fragen, die nach Antworten suchen. Doch wie soll man erklären, was Erwachsene selbst kaum verstehen? Wie können Themen besprochen werden, die auch Erwachsene verunsichern?

Die Autorin Kirsten Boie wählt hierfür den naheliegendsten Weg: Sie erzählt die Geschichte zweier syrischer Kinder nach, die mit ihrer Familie die Heimat verlassen mussten und nach Deutschland flohen. Die inzwischen 10-jährige Rahaf und ihr 9-jähriger Bruder Hassan lebten früher mit der gesamten Großfamilie in Homs friedlich unter einem Dach. Sie gingen dort zur Schule, spielten Fußball oder mit Puppen und hatten Freunde, bei denen sie übernachteten. Doch die Normalität endet mit Beginn des Bürgerkrieges und weicht einem Szenario, das von Angst und Unsicherheit geprägt ist. Eindrucksvoll gelingt es Kirsten Boie mit einfachen Worten, Bilder von Rahafs und Hassans Erlebnissen zu zeichnen, die so bedrückend sind, dass es schwer fällt, darüber zu sprechen. Aussagen wie: “Manche Straßen waren hinterher Trümmer und manche Menschen sind hinterher nicht mehr aufgestanden.” zeigen die Zustände in einem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land drastisch und dennoch kindgerecht auf. Für Kinder nebulöse Begriffe wie “Bürgerkrieg” und “Schleuser” werden verständlich mit Inhalt gefüllt.

Rahaf und Hassan lassen ihre Verwanden, Freunde und Heimat unfreiwillig zurück. Sie gehen, damit sie überleben. Und sie haben auf ihrem Weg von Syrien, über Ägypten, Italien und Frankreich nach Deutschland eine gefährliche Reise hinter sich, die auch im Mittelmeer hätte enden können. Mit leeren Händen, ohne Papiere oder Geld blicken sie in Deutschland in eine ungewisse Zukunft. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Freude über den Besuch einer Schule, in der Lehrer und Mitschüler eine fremde Sprache sprechen, bei Rahaf und Hassan in Grenzen hält. Glücklicherweise trifft Rahaf auf Emma, ein Mädchen in ihrer Klasse. Emma wendet sich nicht ab, wenn Rahaf ihr nicht antworten kann. Sie bringt ihr viele neue Worte bei und die aufblühende Freundschaft zwischen den Mädchen und die Hoffnung, sich vielleicht bald in der unbekannten Welt zurecht finden zu können, ist für Rahaf ein Lichtschimmer. So kann Rahaf trotz ihrer Erlebnisse, den Verlusterfahrungen und den ungünstigen Bedingungen in Deutschland (Leben in einem kleinen Wohncontainer, arbeitsloser Vater) wieder daran glauben, dass - wie es der Titel bereits sagt - bestimmt alles gut wird.

Die Illustrationen von Jan Birck geben diese Entwicklung eindrucksvoll wider, indem das zunächst farbenfrohe Umfeld in Homs von eintönigen Darstellungen abgelöst wird, in denen einzig Rahaf mit ihrer Familie hervorsticht. Seit der Bekanntschaft mit Emma gewinnt auch Rahafs Umgebung allmählich wieder an Präsenz und Farbe.

Für den Leser ist es emotional sehr bewegend, die Sicht eines Kindes zu erfahren, das aufgrund sprachlicher Hürden kaum Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme hat und nicht weiß, wie es sich verhalten soll. Emma nimmt eine Schlüsselrolle ein, da sie als Freundin und Sprachmittlerin Rahaf auf ihrem Weg zu einer gelungenen Integration in das neue, unbekannte Umfeld unterstützt. Mit ihrem Verhalten zeigt Emma den Lesern gleichzeitig auf, dass auch sie in ihrem Umfeld sinnvoll Hilfe leisten können. Damit eignet sich das Buch nicht nur, um die Hintergründe von Flucht und Vertreibung zu thematisieren, sondern auch, um Verständnis und Empathie für die betreffenden Kinder zu wecken. Onilo bietet in diesem Sinne für den pädagogischen Einsatz im Unterricht eine Whiteboard-Version des Textes sowie Arbeitsblätter an, die sowohl in Deutsch, als auch in Englisch online abgerufen werden können.

Außerdem befindet sich auf jeder Seite im unteren Teil der Text in arabischer Sprache. Damit ist es den in ihrer Herkunftssprache alphabetisierten Kindern möglich, das Buch trotz mangelnder Deutschkenntnisse zu lesen. Umgekehrt sind die arabischen Schriftzeichen und deren Leserichtung von rechts nach links für deutsche Kinder faszinierend. Ein kleiner Sprachführer auf den letzten fünf Seiten mit einfachen Worten und Sätzen aus dem Kontext des Buches weckt möglicherweise wechselseitig das Interesse an der jeweils anderen Sprach- und Schriftkultur und trägt seinen Teil dazu bei, Brücken zu schlagen, statt kulturelle Konflikte zu schüren.

Das Buch ist für Kinder ab einem Alter von 6 Jahren und insbesondere im Grundschulalter sehr zu empfehlen.