Mit einem Blick auf die Menschen vermittelt das Bilderbuch Vorstellungen von Mengen und gleichsam eine Idee von Gemeinsamkeit und Individualität: Wie viele Personen denken, fühlen und erleben etwas in einem besonderen Moment?
Mit reduzierten Illustrationen, die zu eindrucksvollen Wimmelbildern anschwellen, und kurzen Beschreibungen, die mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten, werden Leserinnen und Leser zur genauen Betrachtung und zum gemeinsamen Philosophieren über das Leben eingeladen.
Informationen erhalten Leserinnen und Leser durch den knappen unscheinbaren Text am unteren Bildrand, der elliptisch immer auf die gleiche Weise zunächst die Figuren in den lebensweltlichen Kontext einordnet, um daraufhin einzelne Teilmengen genauer vorzustellen. Manche Aussagen betreffen alle: So will beispielsweise keine oder keiner als letzte oder letzter in die Brennballmannschaft gewählt werden. Andere Zuschreibungen beziehen sich auf Gruppen oder einzelne Figuren. In jedem Fall bleiben die Protagonistinnen und Protagonisten zunächst namenlos, was dazu führt, dass eine Zuordnung von Bild und Text nur vage vermutet werden kann und zum Rätseln und Zurückblättern einlädt.
Wer könnte einen Impfstoff entwickeln? Wer sagt etwas, das für eine andere Person für den Rest ihres Lebens in Erinnerung bleiben wird? Wer ist auf der Flucht? Wer ist verliebt? Wer wäre lieber an einem anderen Ort? Ein paar dieser Geheimnisse werden am Ende des Bilderbuches aufgedeckt, wo zu den einzelnen Seiten einige Hinweise und Hintergrundinformationen zu den Figuren gegeben werden. Wer stattdessen nach weiteren Rätseln sucht, findet hier auch eine ganze Doppelseite mit Suchaufträgen zu den Bildern (“Wo ist dieses Selfie aufgenommen?”) oder mit philosophischen Fragen (“Was zählt am meisten in deinem Leben?”).
Auch die Gesamtgestaltung des Bilderbuches strebt danach, die Individualität der Menschen in den Fokus zu rücken. Mit einem satten Blau wird dickgedruckt auf jeder Seite zunächst die Zahl der Personenmenge angegeben. In der gleichen Farbe wird mit filigranen Linien und zahlreichen Details ein Hintergrund ausdifferenziert, vor dem die Figuren bunt und plakativ hervortreten. Trotz der sehr abstrahierten Darstellungsweise gelingt es, durch Körpergröße, Haut- und Haarfarbe, Frisur und bunte Kleidung die Protagonistinnen und Protagonisten wiedererkennbar werden zu lassen und gleichsam die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden. Dick und Dünn, Alt und Jung, mit Kopftuch, mit Basecap oder im Rollstuhl – viele Heterogenitätsdimensionen zeigen sich im Bild, ohne diese zu betonen oder zu werten.
Kristin Roskifte gelingt es in diesem Werk, die Komplexität der Gesellschaft faszinierend unkompliziert darzustellen, indem sie eine zunächst scheinbar unüberschaubare Masse in ihre Einzelglieder zerlegt. Durch das Mitverfolgen einzelner Figuren über die Buchseiten hinweg, ergeben sich chronologische Geschichten, die den Charakteren individuelle Züge geben. Da es aber von Bild zu Bild mehr Menschen werden, wird ebenso deutlich, wie komplex unser Leben ist. Bei allen Unterschieden, wird stets darauf verwiesen, dass es grundsätzliche Werte und Bedürfnisse gibt, die alle miteinander teilen. Das Bilderbuch lädt neben dem wiederholten Lesen und Betrachten ebenso zum Diskutieren und Philosophieren mit anderen ein, und wird dadurch zum Gegenstand zwischenmenschlichen Austausches.